Mittwoch, 13. April 2011

Kampf der Geschlechter erwiesen: Frauen hassen Männer


Schon der antiken griechischen Kultur wird nachgesagt, dass viele ihrer Einrichtungen, die noch das Abendland geprägt haben, nur aus einer ungebrochenen Furcht der griechischen Männer vor einem Widererstarken der Macht der Frauen geprägt wurden. Der in der Antike stets präsente Mythos von den Amazonen, den Frauenkriegern, die sich allein der Männer zur Sicherung ihrer Nachkommenschaft bedienten, galt als abschreckendes Beispiel. Damit die Männer sich ihrer erwehren konnten, bedurfte es des Halbgottes Achilles, der die letzte Königin Penthesilea in Troia im Zweikampf tötete – nicht ohne der sterbenden Penthesilea noch in die Augen zu schauen- woraufhin er  von diesem Blick verzaubert sich unsterblich in sie verliebte und vor Liebeskummer wegen des Todes der Geliebten größte Schmerzen ertragen musste. In der Antike entschloss man sich, diese Macht der Frauen endgültig zu brechen und einem Wiedererstarken ihrer Feindseligkeit durch ihre Verhüllung und ihrem Wegsperren aus dem öffentlichen Raum sowie einer stringenten allein die Frauen verpflichtenden Sexualmoral vorzubeugen, in einem Siegeszug des Patriarchalismus und seiner Verherrlichung zur griechischen Phallokratie, der hemmungslosen Verehrung des erigierten männlichen Gliedes. Was, vor allem nach dem gnadenlosen Sieg des Patriarchats, der noch in moderner Zeit den Befreiungskampf der Feministinnen munitionierte, später von den Männern spöttisch belächelt und Gegenstand vieler Zynismen in Herrenclubs und sonstigen männlichen Zirkeln bis hin zu den Stammtischen wurde, eine konstatierte allgemeine Feindseligkeit, vor allem der älteren Damen, gegenüber den Männern, nicht selten auch gegen die eigenen, scheint sich jetzt nach den neuesten genetischen Untersuchungen zu bewahrheiten:  die Frauen stehen im genetischen Regelfall den Männern allgemein, das heißt grundsätzlich und unspezifiziert und nicht auf einzelne von ihnen bezogen, feindlich und ablehnend gegenüber. Die Zuneigung zu ihnen, selbst die Liebe, sind Ausnahmen zu bestimmten Zwecken, die im Übrigen die Regel bestätigen, sagen die Forscher. Die Männer lieben demgegenüber die Frauen ebenso unspezifisch, bestimmt nur durch wenige allgemeine körperliche Merkmale, die sie sexuell ansprechen. Man kann diese Ergebnisse dahin zusammenfassen, dass die Frauen tendenziell den Männern feindlich gesonnen sind, wogegen die Männer tendenziell alle Frauen lieben. Das jedenfalls sind die Ergebnisse des fünfjährigen interdisplinären Projekts ESELL G (Elementary Study Efficiant Love and Life: Gender) an dem neben Humangenetikern und Neurowissenschaftlern auch Soziologen und Psycholgen teilgenommen haben und deren Ergebnisse nunmehr in den USA vom Institute for Human Gender Research am Caltech in Pasadena vorgestellt wurden. An der Studie waren auch deutsche und französische Wissenschaftler beteiligt. Im Laufe der Jahre waren insgesamt zehntausend Frauen und Männer in den USA, Frankreich, Irland und Deutschland in ihr einbezogen. Eine Ausweitung der Studie auf einige asiatische Länder wie Japan, Thailand und Südkorea sei gerade zusammen mit einigen Forschungseinrichtungen in diesen Ländern beschlossen worden, auch um etwaige kulturelle Beeinflussungen der bisher nach streng wissenschaftlichen Methoden gefundenen Ergebnisse erkennbar zu machen.


John Will, Leiter des ESELL G,  nannte die aufgedeckten Zusammenhänge revolutionär, obgleich in den Vorstellungen vieler Menschen weit verbreitet, wenn dort auch mit dem “schlechten Gewissen eines Vorurteils” belastet. Wie Will erläuterte, ist es nichts Ungewöhnliches in der Natur, wenn ein Gleichgewicht statt durch gleichgerichtete beteiligte Komponenten durch sich widersprechende Komponenten hergestellt wird, wobei der Ausgleich jeweils beim Aufeinandertreffen der gegensätzlichen Richtungen erfolgt. Eines der bekanntesten Beispiele ist die Willenskraft, die durch eine Unlust, also ein Unbehagen, entsteht, die mit der Fassung eines Entschlusses, etwas Bestimmtes zu wollen, aufkommt. Diese Unlust kann dann nur dadurch abgebaut werden, dass man sich in die Richtung, die die Willenskraft vorgibt, bewegt, um dann das Unbehagen in ein Behagen oder Unlust in Lust beim Werden des Gewollten umschlagen zu lassen. So ist von Natur aus als Antrieb bestimmt, dass Unlust entsteht, um Lust zu erzeugen. Die genetischen Grundlagen der Einbindung in ein allgemeines Belohnungs- und Bestrafungssystem sind zwar noch nicht geklärt, jedoch besteht die von nicht wenigen Wissenschaftlern geteilte Vermutung, dass es sich bei dieser Verbindung um eine Schaltstelle zwischen Körper und Bewusstsein handeln muss. Die positive oder negative Besetzung von Gefühlen sagt somit selbst nichts darüber aus, was nun das von der Natur gewünschte Ergebnis ist, vielmehr bedient sich die Natur Zuckerbrot und Peitsche, um zu dem gewünschten Ergebnis zu kommen.


Im Verhältnis der Geschlechter stieß man sowohl aufgrund neurowissenschaftlicher als auch psychologischer Untersuchungen auf die Ambivalenz der Grundtendenzen der gegengeschlechtlichen Beziehungen. Bei Untersuchungen unter Anwendung der Magnetresonanztomografie (MRT) wurden auffällige Veränderungen in der Durchblutung bestimmter Gehirnteile festgestellt, die auf besondere Häufigkeit von Gefühlen aggressiver Art deuten, wenn Frauen unspezifisch mit männlichen Themen befasst wurden; ähnliche Ergebnisse, jedoch mit umgekehrten Vorzeichen, wurden bei Männern gefunden, wenn diese mit allgemeinen weiblichen Erscheinungen konfrontiert wurden. Bei tiefergehenden Untersuchungen konnte dann das Muster aufgedeckt werden, dass Frauen, wenn sie nicht durch eine ganz bestimmte Beziehung zu einem bestimmten Mann gefühlsmäßig gebunden waren, männlichen Signalen gegenüber tendenziell, das heißt in signifikanter Mehrzahl, mit negativ besetzten Gefühlen reagierten. Männer wiesen genau das Gegenmuster auf, jedem weiblichen Signal wurde mit offenem Interesse begegnet und nur wenige Merkmale, wie Körperformen oder auch sogar nur deren silhouettenhaften Umrisse, reichten zu emotional positiv besetzten Gefühlen. Diese Unterschiede wurden auf das bereits genetisch festgelegte unterschiedlichen Sexual- und Sorgeverhalten von Mann und Frau gegründet. Denn anders als der Mann, dem es nach seiner Veranlagung vordergründig um die Verteilung seines Samens in möglichst vielen Schößen geht, hat die Frau innerhalb größerer Zeiträume zumeist nur einen Versuch, einen nach seiner genetischen und sonstigen Ausstattung geeigneten Sexualpartner zu finden, der zudem auch noch für Sicherheit und Sorge der Kinder nach deren Geburt zuverlässig aufkommt. Daher gilt es aus weiblicher Sicht, eine weitaus höhere Barriere zu überwinden, um den Anderen an sich herankommen zu lassen. Demgegenüber entscheidet der Mann bei der Auswahl seiner Sexualpartnerinnen nach recht wenigen zumeist nur äußerlichen Merkmalen, die ihren Zweck schon erfüllen, wenn sie ihn hinreichend sexuell reizen. Die Vaterschaft selbst, die ihm an sich auch eine genauere Auswahl der möglichen Mütter seiner Kinder nahelegen würde, spielt hier keine Rolle, da sie entwicklungsgeschichtlich wenig Bedeutung hat. Sie gilt den Forschern vielmehr als Produkt kultureller Grundlage, nachdem die Männer erst vor einigen Jahrtausenden überhaupt von ihrer konkreten Urheberschaft wissen konnten.

Nach dem Muster stehen die Frauen den Männern unspezifiziert, das heißt, ohne konkretes an einen Mann zu stellendes Verlangen, feindselig und ablehnend gegenüber, während der Mann in jeder Frau eine mögliche Sexualpartnerin sieht, die seine ohnehin nicht recht hohen Anforderungen erfüllen kann, er mithin alle Frauen liebt. In Gesellschaften, in denen die Altersstruktur ausgeglichen ist, führt diese Ambivalenz zu einem entspannten Verhältnis zwischen Männern und Frauen, da in der Auflösung der Gegensätze auch zugleich die Lösung liegt. Nachdem die Triebfeder der Frauen, sich Männern wohlmeinend zu nähern, und der Männer, sich die weiblichen Schöße zu öffnen, aber grundlegend unterschiedlicher Natur sind, kann es zu nachhaltigen Störungen im ambivalenten Verhältnis der Geschlechter kommen, wenn sich die jeweiligen gesellschaftlichen Grundlagen verändern. Die weibliche Triebfeder ist auf einen unmittelbaren Nutzen bezogen (Auswahl eines fähigen Geschlechtspartners und Vaters), die des Mannes dagegen auf einen mittelbaren Nutzen, seine allgemeine Reproduktion, während sich sein unmittelbares Interesse oft allein im sexuellen Orgasmus erschöpft. Diese Diskrepanzen wirken sich am Auffallendsten im Alter aus, wenn die unmittelbaren Bedürfnisse der Frauen (Wahl eines geeigneten Geschlechtspartners) und die der Männer (sexueller Orgasmus) zunehmend ihre biologischen Grundlagen verlieren. Mangels entsprechenden Verlangens und entsprechender Notwendigkeit der Frauen im Alter verliert eine ihre grundsätzliche Feindseligkeit korrigierende einzelne positiv besetzte Beziehung zu einem Mann an Bedeutung, so dass sich die aggressive Grundhaltung durchsetzen kann. Bei den Männern ändert indessen ihre nachlassende biologische Vitalität zumeist nichts an ihrem (subjektiven) Begehren, so dass sie weiterhin ungeschmälert ihren (oft wollüstigen) Gefühlen, die sie tendenziell alle Frauen lieben lassen, ausgesetzt sind und zwar wehrlos. Denn die Rückkehr eines ihnen im Alter feindlich gesonnenen allgemeinen weiblichen Verhaltensmusters trifft sie zudem in zumeist schlechterer vitaler Verfassung als die Frauen ihrer Generation. Damit aber wandelt sich die Dominanz im männlich-weiblichen Verhältnis zu einer allgemeinen weiblichen aggressiven Dominanz in überalterten Gesellschaften, wie wir sie nach der Studie gerade zu erfahren beginnen. Die an ESSEL G beteiligten Forscher wollen zwar noch nicht soweit gehen, dass sie hierin (und nicht in den bisherigen Erfolgen weiblicher Emanzipation) die gegenteilige Entwicklung zum über zweitausendjährigen Patriarchat, das bis in die Neuzeit zur vollkommenen Entrechtung der Frauen geführt hatte, sehen, jedoch ganz ausschließen wollen sie es auch nicht.

Freitag, 1. April 2011

Kernkraftwerke sind der Preis der Übervölkerung

Interview mit dem Leiter des IEE

Prof. Emil Raio leitet das renommierte Institut für Internationale Ernergieeffizienz  (IEE) am Forschungszentrum in Neujükarlsberg, eine der großen  Forschungsstätten, die in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts einst zur Erforschung der Kernkraft gegründet wurden und zwischenzeitlich ihre Forschung vor allem in Hinblick auf die Umwelttechnologien neu ausgerichtet haben. Raio hat schon sowohl SPD- als auch CDU-geführte Regierungen auf Bundes- und Landesebene in Energiefragen beraten.

RL: Herr Professor, die Deutschen sind schon seit langem technischen Fortschritten gegenüber sehr zurückhaltend eingestellt, hat Sie der augenblicklich hier entbrannte Antikernkrafttsunami da noch erstaunt?

Prof. Raio:  Wenn ich ehrlich bin, ja, ja es hat mich gewundert, sehr gewundert, dieser Verlust an Rationalität und die ungenierte Offenbarung hemmungslosen politischen Begehrens.  Natürlich nicht die Haltung der mittlerweile institutionalisierten Kernkraftgegner in Politik und Wissenschaft, die nun endlich ein Szenario vorgefunden haben, dass ihren schlimmsten Vorhersagen entspricht…

RL: und möglichweise übersteigt...

Prof. Raio: nein, entspricht, nicht übersteigt, denn Sie müssen hier nun alles berücksichtigen, was so zum GAU und Supergau an uns bedrohenden Szenarien schon entworfen wurde. Man darf dabei schließlich auch nicht die ideologische Grundlage dieser Bewegung vernachlässigen, wie sie etwa der deutsch-amerikanische Umweltphilosoph Hans Jonas in seinem Werk  Prinzip Verantwortung mit seinem kategorischen grünen Imperativ gelegt hat: gehe bei allem, was du tust, davon aus, dass es heute und in aller Zukunft das Schlimmste jedes Vorstellbaren bewirken wird – etwas, das andere als eine Philosophie des institutionalisierten Verfolgungswahns bezeichnet haben. In der Tat, wo kämen wir hin, wenn jeder, der morgens das Haus verlässt, bei allem, was er tut, unterstellen müsste, dass er damit die schlimmste aller Kausalketten initiieren würde. Denken Sie an Tolstois Krieg und Frieden, wo minutiös aufzeichnet ist, wie die zarte Hand einer jungen Dame allein durch eine kleine Bewegung zur Mitursache für Napoleons Einfall in das Zarenreich wurde.

RL: Aber sollen wir denn die Gefahren und Gefährdungen durch unser Tun einfach ausblenden?

Prof. Raio: Keineswegs, dafür wurden wir nicht als vernunftbegabte Wesen von wem und was auch immer geschaffen. Aber wir müssen abwägen und würdigen und können uns nicht einem atavistischen Fluchtimpuls hingeben, um jeder Gefahr zu entfliehen. Dann säßen wir noch heute auf den Bäumen und starrten sehnsüchtig in die Savanne nach Beutetieren und hätten, nebenbei angemerkt, auch nichts zu verteilen. Die Änderungsaversion, wie wir sie in Deutschland bei allen wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen feststellen – sei es in der Genforschung, in der Informatorik, bei größeren Planvorhaben und der Entwicklung moderner Systemstrukturen, um nur einige Beispiele zu nennen-  spricht für eine wahrhafte Progressionsphobie, eine Einstellung, die für ein hochindustrialisiertes Land, was jedenfalls die materiellen Lebensumstände der Bevölkerung mitsamt all ihrer kostspieligen sozialstaatlichen Privilegien anbetrifft, tödlich sein kann. Immerhin ist Deutschland allein kraft seiner Innovationskraft  noch eine der größten Exportnationen, die darauf angewiesen ist, gerade von dem zu leben, was die meisten so befürchten: technischen Fortschritt und zwar nicht nur auf nach vorgefassten ideologischen Kriterien festgelegtem Feld. Nun ist es auch hier so, wie in allen Lebensbereichen, dass nur etwa 20 %  der Beteiligten die jeweils entscheidenden Leistungen erbringen, wovon dann die etwa 80 % Anderen leben. Gefährlich wird es für die diese Art Wirtschaftssymbiose  jedoch dann, wenn die restlichen 80 % mit ihrer Mehrheit Dinge beschließen, die die 20% Kreativen daran hindern, ihre Güter, von denen wieder alle leben, schaffen zu können. So geht es in Deutschland nun schon seit Jahrzehnten abwärts. Der Begriff Chemie, einst der Stolz unserer Wissenschaft und ein Rückgrat unserer Wirtschaft (von der schließlich alle leben), verkam zu einem Schimpfwort und die Pharmazie, die Deutschland einst den Titel Apotheke der Welt verschuf, ist ausgewandert oder hat sich in Nischen verzogen, unter den 20 größten Unternehmen der pharmazeutischen Industrie suchen Sie vergeblich nach deutsche Namen. Geblieben sind sicherlich noch bedeutsame industrielle Branchen wie der Autobau, von denen, die sich ideologisch zu den neuen Herren gerade aufschwingen -wie es sich auch zunehmend in demokratischen Abstimmungen herauskristallisiert - kaum noch geduldet. Und die großen neuen technischen Entwicklungen der letzen 30 Jahre  sind ohnehin längst an unserer Industrie vorbeigezogen. Gemessen an den Vorgaben für  einen der größten Exporteure technischer Produkte weltweit haben wird den Fortschritt in der Informationstechnologie ebenso verpasst wie bei den zugehörigen Dienstleistungen, eine SAP macht noch kein universelles Technologiezentrum. Selbst in den Umwelttechnologien, von deren Ergebnis wir nach grünen Träumen alle einmal leben sollten, überflügeln uns andere zum Teil schon nach äußerst kurzem Wettbewerb.

RL: Nun, das klingt ja so, als würden wir am Hungertuch nagen, immerhin sind wir noch eine der reichsten Nation der Welt.

Prof. Raio: Noch, weil wir von unserem strukturellen Erbe leben, was unsere Eltern und Voreltern geschaffen haben und das auch auf kollektiver Basis etwa über drei Generationen hinweg noch wirken kann. Und zudem, so reich sind wir auch längst nicht mehr. Beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist Deutschland mittlerweile, je nach Liste, auf etwa den 20. Platz gesunken und selbst in Europa gibt es Länder mit einem mehr als doppelt so hohen Prokopfanteil. Japan, das lange Zeit mit Deutschland gleichauf lag und es schließlich in allen technologisch anspruchsvollen Sparten überrundet  hat, hat 2010 ein um 63 % höheres BIP als Deutschland erwirtschaftet. Exportweltmeister wären wir schon lange nicht mehr, wenn man alle wirtschaftlichen Bereiche wie den der Dienstleistung mit in die Berechnung einbeziehen würde. Aber diesen langsamen Abstieg nimmt man in Deutschland nicht wahr, seitdem man auf das Benchmarking verzichtet hat und sich überwiegend nur noch der eigenen Nabelschau hingibt und jeden selbstsüchtiger Motive bezichtigt, der seinen Kopf doch ein wenig höher tragen möchte. Gerade in der augenblicklichen Kernkraftdiskussion zeigt sich die intellektuelle Isolierung narzisstischer Selbstergebenheit in erschreckendem Maße.

RL: Man kann aber doch nicht bezweifeln, dass uns das Atomunglück in Japan die Gefahren der Nutzung der Kernenergie drastisch vor Augen geführt hat, wie wir hier mit einem Feuer spielen, in dem wir alle umkommen können und daher die Menschen zurecht fordern, in dieser Frage umzudenken!

Prof Raio: Es mag zynisch klingen, aber ist dennoch wahr: hier wirkt nichts anderes als der urtümliche Fluchtinstinkt, der Rettung vor der Gefahr nur in der fluchtartigen Entfernung, also dem Davonrennen, suchen lässt, durchaus verständlich, aber nicht die Art, wie vernunftbegabte Wesen Probleme zu lösen pflegen. Mit dem Feuer spielen musste der Mensch schon immer, um Energie zu gewinnen, und oft genug ist er darin umgekommen, wenn wir nur an die verheerenden Brände denken, die bis ins 19. Jahrhundert in schöner Regelmäßig große Teile der Städte vernichteten, nicht nur in Neros Rom. Für die hiervon betroffenen Menschen war das auch ein GAU. Ursache für die besondere Gefahrenlage waren dort der Umgang mit offenem Feuer und die städtisch stark verdichtete Siedlungsstruktur und die dabei verwandten Baumaterialien. Kluge Diskussionen, die sich gegen solche bauliche Verdichtungen gewandt haben, mag es durchaus gegeben haben, indessen ersichtlich ohne Auswirkungen, stattdessen wurde der aktive und passive Feuerschutz ausgebaut mit der Folge, dass uns mittlerweile solche Feuersbrunsten sogar aus dem Gedächtnis entschwunden sind.

RL: So schrecklich bedrohlich es auch für die Menschen seinerzeit  war, Kernkraftwerke sind ganz andere Arten von Feuern, als diejenigen, mit denen man seine Häuser heizte oder auch Städte in Form von offenen Lampen beleuchtete. Tschernobyl hat halb Europa verändert, in Bayern etwa war die Belastung nach Intensität und Ausdehnung sogar weitaus größer als bislang im 30-km-Gürtel von Fukushima, wenn dort nicht noch mehr passieren wird. Wer einen Ofen betreibt, dessen Feuer, wenn es auskommt, auch noch mehr als tausend Kilometern weit getragen wird, muss schließlich ganz anders behandelt werden, als jemand, der nur seinen Nachbarn bedroht.

Prof. Raio: Das ist so nicht korrekt. Sie sprechen von der Bedrohung der Menschen, ich habe von deren Tod gesprochen. Da kann ich keinen Unterschied zwischen denen, die in einer der Feuersbrunsten vergangener Jahrhunderte umgekommen sind oder die verstrahlt werden, feststellen. Was schließlich „nur“ eine Gefährdung des unmittelbaren Nachbarn anbetrifft, so können wir auch bei einer ethischen Betrachtung nicht unberücksichtigt lassen, dass wir in der heutigen Welt zumindest von der Beherrschbarkeit her unendlich mehr Nachbarn haben, als zu Zeiten, wo wenige Millionen über das ganz Land verstreut lebten. Bis Mitte des 17. Jahrhunderts gab es auf der Erde etwa 500 Millionen Menschen, heute sind es knapp 7 Milliarden und für 2050, also in weniger als 40 Jahren liegen die Schätzungen zwischen 9  und 12 Milliarden, unterschiedlich allein im Hinblick auf eine Annahme des Umfangs eines Rückgangs der individuellen Fruchtbarkeit (nicht  aufgrund einer Zunahme!). Infrastrukturmaßnahmen, auch die einer Energieversorgung, betreffen heute oft eine Dimension, die der einstigen Gesamtbevölkerung der gesamten Erde entspricht. Da wird nichts ohne große Lösungen auskommen, in jederlei Hinsicht. Je größer indessen die Maßnahme, umso gravierender wirken sich Fehler oder sonstige Mängel aus. Der Mensch muss stets einen Mangel überwinden, um leben zu können und bei allem, was er sich dazu ausdenkt, unterliegt er dem Irrtum, der allein ihm  Erkenntnis verschafft. Also Fehler gehören zum Leben. Wir müssen alles daran setzten sie zu vermeiden, wenigstens einzuschränken, verhindern können wir sie nie. Je mehr Menschen die Welt bevölkern, umso mehr Mangel muss überwunden werden und umso mehr und umso größere Fehler  werden gemacht werden. Und ich befürchte, dass die Atomkraft zumindest für die nächsten hundert oder zweihundert Jahre die Öfen sind, die eine möglicherweis in naher Zukunft mit 10 Milliarden Menschen bevölkerte Erde energetisch versorgen müssen.

RL:  Niemand bezweifelt, auch nicht die Atomkraftgegner, dass die Weltbevölkerung ein Mehr an Energie benötigen wird, aber sie widersprechen, dass dieser Bedarf nur mittels der Kernernegie befriedigt werden kann. Weder das Einsparpotential noch die alternative Erzeugung von Energie seien ausgeschöpft.

Prof. Raio: Dann sollen die es Ihnen einmal vorrechnen. Einsparpotentiale wie Erhöhungspotentiale werden sicherlich nie ausgeschöpft sein, aber jeweils nur in der Dimension, in denen die Potentiale sich bewegen. Diese Einschränkung übergeht die politische Diskussion zurzeit in schon peinlicher Weise mit dem Motto, Gott wird uns schon helfen, wobei die Allmacht Gottes durch einen erstaunlichen naiven zweckoptimistischen Fortschrittsglauben ersetzt wird – was angesichts der sonstigen Technologie- und Wissenschaftsaversion nachdenklich macht. Man mag das ja noch bei Politikern tolerieren,  aber bei Wissenschaftlern gleicht dies einer Selbstaufgabe, sie sollten dann lieber gleich ihren Job hinwerfen. Über 60 % des Primärenergieverbrauchs in Deutschland etwa entfällt auf Industrie, Gewerbe und Handel, gerade ein Viertel auf die Haushalte, acht Prozent auf die öffentliche Hand. Wer also glaubt mit weniger Licht und weniger Mobilität den Weltenergiebedarf in den Griff zu bekommen, ist ein Illusionär, selbst in Deutschland wird ihm das nicht gelingen. Und was die Potentiale an alternativen, beziehungsweise erneuerbaren Energien anbetrifft, spielen wir allenfalls in der Bezirksliga, abgesehen von auf Weltebene angesichts struktureller Entwicklungsdifferenzen für sehr lange Zeit kaum zu bewältigender technischer Probleme mit diesen Energien.

RL: Warum können wir nicht genügend Energie aus Sonnenergie oder Wasserkraft gewinnen?

Prof. Raio: Der Reiz der Sonnenergie zum Beispiel besteht darin, dass sie in schier unermesslicher Größe zur Verfügung zu stehen scheint. Der gesamte jährliche Verbrauch von Primärenergie  durch die Bevölkerung der Erde lag bislang bei etwa 500 EJ (Exajoule) – der von Deutschland bei 14 EJ-, mittlerweile dürft er bei 700 EJ angekommen sein. Die Sonne bestrahlt die Erde täglich mit 10.700 EJ, jährlich mit 3.900.000 EJ. Das heißt, dass die gesamte verbrauchte Primärenergie pro Jahr  0,0012 %  der jährlich auf die Erde strahlenden Sonnenenergie ausmacht. Sie zu beanspruchen, meint man, müsse doch ein Klacks sein, etwa in Form von Wind- und Solaranlagen, man muss es nur wollen. Die Natur macht es uns überall vor, alles Leben lebt energetisch von der Sonne, ohne Sonnenstrahlung hätte es sich nie auf der Erde entwickelt. Aber wenn es so einfach mit der Energie wäre, wären wir energetisch gesehen, alles Millionäre. Aber wir sind es nicht, denn bei der Energie stoßen wir möglicherweise an unsere Grenzen der Beherrschbarkeit unserer Umwelt und wer mag, kann hier auch den Atem eines höheren Systems vermuten. Die Sonnenenergie ist nur eine Form der Energie, die wir als Strahlung wahrnehmen. Aber genau genommen ist alles, was wir um uns haben und wahrnehmen, Energie, hier wurden uns definitiv erst in den letzten hundert Jahren die Augen geöffnet, etwas, was offensichtlich bislang kaum wahrgenommen worden ist. Energie umgibt uns daher in Hülle und Fülle. Jedes Atom, aus dem die Moleküle bestehen und die wiederum Verbände und schließlich auch Organismen bilden, ist nichts als pure Energie. Die energetischen Verhältnisse der Atomkerne und der sie umkreisenden Elektronen bestimmen die Eigenschaften der Materie, also auch ob es sich um Gold oder Wasser handelt. Die hier obwaltenden Kernkräfte (als schwache oder schwere) sind so gewaltig, dass bei Masseveränderungen frei werdende Energiemengen die beim herkömmlichen Verbrennen von Masse gewonnene Energie bezogen auf die eingesetzte Materie um das 2,5 Millionenfache übersteigen. Die Masseveränderungen erfolgen durch Kernspaltungen, bei denen als Beiprodukte auch die gefährlichen radioaktiven Strahlungen entstehen oder durch Kernverschmelzungen, also der Fusion, mit der radioaktive Abfallprodukte nicht zwingend verbunden sind. Die Sonnenenergie ist nichts anders als das Ergebnis solcher Masseveränderungen in Form einer Fusion. Genau genommen sitzen wir also hier auf der Erde wiederum auf unendlich mehr Energie, als uns über die Sonnenbestrahlung erreicht. Das Problem indessen bleibt bei allem, sie auch nutzen zu können. Energie kann theoretisch in jede ihrer Erscheinungsformen überführt werden, etwa als Wärme, Bewegung, elektromagnetische oder Strahlungsenergie, oder auch als chemische Energie. Auch wir Menschen leben von ihr, wenn wir uns ernähren. Die Energie, die wir durch technische Vorrichtungen gewinnen, verschaffen wir uns in der Weise, dass wir sie von einer Form in eine andere bringen und die dabei frei werdende Energie nutzen. Das heißt zugänglich wird uns die Energie immer nur im Augenblick der Umwandlung. Deswegen können wir sie auch nicht speichern, was ja schon allein im Hinblick auf die von der Sonne auf die Erde gestrahlte Energiemengen alle unsere Probleme für alle Zeiten lösen würde. Wir können nur die Umwandlungsprozesse beeinflussen und ihren Ablauf, auch durch Einschaltung von Zwischenformen der  Energie, verzögern, wie  bei Speicherkraftwerken oder den Druckspeichern.

RL: Da sind aber die Verfechter der alternativen Energien anderer Meinung.

Prof. Raio: Ich würde sagen, sie träumen von etwas Anderem, jedenfalls wenn man den Begriff Meinung heuristisch auch mit Realität verbindet. Natürlich können wir im Kleinen und auch im Mittleren auf Bioenergie setzen und die Eigenschaft der Natur, Sonnenenergie in Pflanzen zu binden, nutzen, wir können Wasserspeicherkraftwerke bauen und auch Druckspeicher in Berghöhlen einrichten. Aber bitte, dann rechnen Sie auch einmal die Kapazitäten aus, die sie benötigen, um den Bedarf zu decken und das auch noch weltweit! Nein diese Wege sind undenkbar. Oder nehmen sie die Träume vom Solarstrom aus der Sahara. Abgesehen von den poltischen Instabilitäten, die mit solchen Lösungen verbunden sind, sind wir vorerst gar nicht in der Lage, den Strom nach Europa zu leiten, alles noch Zukunftsmusik etwa von weltumspannenden Supraleitungen und ansonsten Träumereien. Ich bezweifele überhaupt nicht den erkenntnisgewinnenden Wert solcher Träume, aber man darf dabei nicht die Grenze zur Realität verwischen. Es ist schließlich auffällig, dass wir zwar in den Medien und auch in Politikermund sehr viel von solchen Lösungen hören, man aber vorsichtshalber diejenigen, die die Voraussetzungen hierfür schaffen, wie Wissenschaftler und Ingenieure erst gar nicht befragt oder gar an den Runden teilnehmen lässt. Sehen Sie zum Beispiel die Runden unserer wenigstens hübsch anzusehenden weiblichen Talkmasterinnen, die Wissenschaft und Ingenieurkunst vertreten dort zumeist sogenannte Wissenschaftsjournalisten, deren Aufgabe es an sich wäre, wissenschaftliche Erkenntnis zu vermitteln, die sich aber zumeist in Selbstgelegtem erschöpfen, dies aber trügerisch als wissenschaftliche Erkenntnis ausgeben. Dass sie mich nicht missverstehen, ich bin keineswegs gegen all diese Maßnahmen und glaube auch, dass wir mittelfristig mit alternativen Energien einen wesentlichen Beitrag zur Energieversorgung leisten können und werden, nur leider nicht in einem relevanten Zeitfenster in einer solchen Größenordnung, der es heute im Hinblick auf die energetische Versorgung der Welt als verantwortlich erscheinen ließe, aus der Nutzung der Kernenergie auszusteigen.

RL: Auch nicht wegen der damit verbundenen jetzt so offenkundig gewordenen Gefahren?

Prof. Raio: Nein, auch dann nicht, denn es geht um die elementaren Lebensverhältnisse der Menschen auf einer möglicherweise überbevölkerten Erde. Das Risiko der Kernenergie ist jedenfalls einstweilen der Preis dieser Überbevölkerung. Je mehr im Boot sind, umso größer ist das Risiko des Kenterns oder auch des Untergehens, das ist einmal so und folgt im Übrigen zwingend aus der menschlichen Eigenschaft eines Mangel- und Irrwesens. Die augenblickliche Kernkraftdiskussion verschließt hiervor in verantwortungsloser Weise die Augen, ja verantwortungslos, wenn viele dabei auch glauben, ihrem Verantwortungspropheten Hans Jonas zu folgen. Das Ganze ähnelt einem religiösen Disput, da kann man auch getrost die Realitäten vernachlässigen. Natürlich kann sich Deutschland den Luxus erlauben, aus der Kernkraft auszusteigen, es könnte sich auch den Luxus leisten, allen Bürger ihres Landes einen Nasenring zu verpassen, möglicherweise sogar in Gold. Soviel strukturellen Reichtum haben uns unsere Eltern, auch kollektiv, noch hinterlassen. Ein solcher Ausstieg hat abgesehen von den damit verbundenen drastischen Vermögenseinbußen aber keinerlei Konsequenzen, insbesondere verändert er die Sicherheitslage nur marginal. Denn wir sind auch bei Schließung aller 17 deutscher Kernkraftwerke noch innerhalb eines aufgrund der Erfahrungen von Tschernobyl gebildeten Gefahrenradius von etwa 175 Kernreaktoren  umgeben, mit steigernder Anzahl, ein Tropfen auf den heißen Stein also. Auch denkt kein einziges dieser anderen Länder daran, dem deutschen Beispiel zu folgen, sie könnten es sich gar nicht leisten. Weltweit gibt es zurzeit 442 Reaktoren, 65 sind in Bau. China, das mit 13 Reaktoren zur Zeit weniger als 2 % seines Stromes erzeugt, hat gerade beschlossen, 40 neue Reaktoren binnen der nächsten fünf Jahre zu bauen, hat  50 weitere in konkreter Planung und 70 in der Projektion. Es strebt einen Anteil an der Stromerzeugung durch Kernkraft an, wie ihn andere moderne Staaten haben (nach einer Aufstellung der internationalen Atombehörde Deutschland  28,9 %, Japan 29,23, Belgien 53,5 % und Frankreich 75,17 %). Durch Einführung moderner Wiederaufbereitungs-verfahren hat China gerade erst seine Prognose für die Dauer der gesicherten Versorgung mit Uran von  50 bis 70 auf knapp 3000 Jahre erhöht. Indien plant nicht anders. Großbritannien besitzt 16 und plant 8 weitere,  Russland besitzt 32 und plant 24 weitere und so fort. Das sieht schon ziemlich nach einer Gespensterdiskussion aus, was wir augenblicklich in Deutschland erleben. Es mag ja auch sein, dass eine Mehrheit, vielleicht auch sogar eine große Mehrheit der Wähler dahintersteht, das ändert aber nichts am Gespensterhaften. Im Übrigen ist augenblicklich auch kaum gesichert, wie groß diese Mehrheit wirklich ist. Die Diskussion jedenfalls wird gegenwärtig mit dem Eifer des Glaubens an eine alleinseligmachende Kirche geführt, der alle um die Rettung ihres Seelenheils nur beitreten können – warten wir erst einmal ab, wenn die Gläubigen Kirchensteuer werden zahlen müssen.

RL: Auch wenn Sie mit Ihrer Darstellung, Herr Prof. Raio, Recht haben sollten, widerlegt das unserer Meinung angesichts der Gefahren nicht eine Notwendigkeit zum Ausstieg.

Prof. Raio: Frei vom Benchmarking mit narzisstisch auf sich selbst beschränktem Blick nicht. Normalerweise gewinnt man aber Einsichten anders, nur Dogmatiker und Verbohrte oder Menschen, die andere kognitive Probleme haben, weigern sich, bei ihren Entschlüssen auch Erfahrungen und Beurteilungen anderer zu berücksichtigen. Und wenn etwas nahezu die ganze Welt anders sieht (und im günstigen Fall uns Deutsche heimlich belächelt), dann sollte das wenigstens diejenigen, die Verantwortung für andere tragen, nachdenklich machen.  Objektiv bleibt die Bedrohung durch Kernkraftwerke unverändert. Der Glaube, wir würden mit unserer Haltung gar die Welt verändern können, ist nichts als ein Traum, den Deutschland bekanntlich nicht zum ersten Mal träumt, in dem an seinem Wesen die ganze Welt genesen werde…

RL: Ich bitte Sie Herr Professor, Sie wollen die Kernkraftgegner doch nicht mit den Nazis vergleichen!

Prof. Raio (lachend): Nun auch das noch, wirklich, den Gesellschaftsforschern und Historikern geht es da nicht viel anders als uns. Immerhin sei der Vergleich doch soweit erlaubt, als man gesellschaftswissenschaftlich den plötzlichen Umschwung Deutschlands im Jahr 1933 unter die Lupe nimmt, als binnen weniger Wochen ungeachtet aller Realitäten nur noch eine einzige Meinung vertreten wurde und alle mit anderer Meinung ausgegrenzt und auch vertrieben wurden, denken Sie an den Exodus von Wissenschaftlern, Juristen und Ärzten, Künstlern, Journalisten – ungeachtet der folgenden schrecklichen weiteren Konsequenzen. Das, was hier –ich meine innerhalb der ersten Monate nationalsozialistischer Herrschaft- geschah und in ganzer Breite von nahezu allen maßgeblichen gesellschaftlichen Kräften mitgetragen wurde (dass die Kommunisten und Sozialisten nicht dabei waren, gehört auch heute noch zurecht zu deren Selbstverständnis), ist nur durch einen gesellschaftlichen Realitätsverlust zu erklären. Hätte es diesen Realitätsverlust nicht gegeben, dann hätte die Mehrheit der Deutschen nie die Konsequenzen mitgetragen. Die deutsche Geschichte bietet nun einmal ein Beispiel par excellence für die Konsequenzen eines kollektiven Realitätsverlusts und angesichts der von solchen Realitätsverweigerungen ausgehenden Gefahren erscheint es auch als erlaubt, darauf hinzuweisen.

RL:  Und Sie glauben, dass die gegenwärtige Verarbeitung der Gefahren, die uns Fukushima aufgewiesen haben, zu einem solchen Realitätsverlust führt?

Prof. Raio: In gewisser Beziehung ja und zwar wie die Diskussion in vollständiger Abgeschlossenheit von dem Rest der Welt geführt wird ausgehend von absoluten Prämissen, ähnlich der Bedeutung einer absoluten Wahrheit, vergleichbar etwa dem christlichen Gottesbild im Mittelalter. Die energetischen Bedürfnisse der Welt werden schlichtweg ausgeblendet. Augenblicklich liegt der auf ein KG Erdöl  bezogene durchschnittliche Weltverbrauch an Primärenergie bei 1.810 kg pro Kopf. Deutschland und Frankreich verbrauchen etwas über 4.000, Belgien 5.366 und die USA 7.759. China verbraucht zurzeit noch 1.484, aber Singapur schon 5.821. Länder wie Angola und Nigeria, selbst reich an Ölvorkommen, verbrauchen erst 606 bzw. 722 kg pro Kopf. Das, was dort auf die Welt an Energiebedarf zukommen wird, wird man nur auffangen können, indem man jede Art von Energie, die uns zugänglich ist, nutzt, vor allem vor dem Hintergrund der bald zu Ende gehenden Reserven an fossilen Brennstoffen. Den Menschen in Deutschland scheint nicht klar zu sein, dass die Energieversorgung eine elementare Frage des Überlebens ist und dass es ohne ausreichende Lösung zu einer weltweiten Katastrophe kommen wird, diesmal wirklich vom biblischen Ausmaß. Denn Energie ist Leben und nur Energie ist Leben.

RL: Für die man auch sterben kann?

Prof. Raio: Ja, natürlich, denn jeder der nicht überlebt, stirbt, gleich aus welchem Grund er nicht überlebt. Der Angst vor dem Strahlentod steht die durchaus gleichwertige Angst gegenüber, sei es an Hunger oder sei es an Krankheiten zu sterben, weil die Energie zur Schaffung ausreichender Lebensbedingungen in einer überbevölkerten Welt nicht reicht. Und hiervon trennen uns nur noch Jahrzehnte. Dass wir diesen Energiehunger, zudem noch angestachelt durch Forderungen, auch sozialer Natur, nach einer höheren Lebensqualität auf absehbare Zeit nicht mit alternativen Energien werden stillen können, belegt jede Modellberechnung. Wir kommen ohne direkten Rückgriff auf die atomar gebundene Energie  nicht aus und können nur hoffen, dass wir das rettende Ufer eines Kernfusionsreaktors, zu dessen Entwicklung sich die Welt in Frankreich unter dem Namen ITER zusammengefunden hat,  noch rechtzeitig erreichen werden. Bis dahin müssen wir jedenfalls bezogen auf die Welt die erforderlichen Risiken akzeptieren.

RL: Auch eine Kernschmelze mit Verseuchung ganzer Landstriche?

Prof. Raio: Wenn es nicht anders geht, auch das. Hier sind indessen die Dinge schon ein wenig aus dem Lot gekommen, indem –auch hier hat Deutschland die Führung übernommen- die schreckliche Erdbeben- und Tsunamikatastrophe, die Japan getroffen hat, schamlos kleingeredet wird, um die Atomkatastrophe aufzubauschen. Die Schäden an den Reaktoren, vor allem bei den Kühlsystemen, sind wahrscheinlich durch den Tsunami eingetreten, der Gewalt des größten Erdbebens, das Japan den Aufzeichnungen nach je erlebt hat, haben die  Reaktoren offensichtlich standgehalten. Sie hatten sich alle, wie vorgesehen, abgeschaltet. Die Tsunamiwelle im Reaktorbereich wurde mit 14 Metern Höhe ermittelt, man hat aber aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit Tsunamis (bekanntich einem Wort, das aus dem Japanischen stammt)  mit keinen höheren Wellen als fünf Metern gerechnet und auch rechnen können - eine Fehleinschätzung fast um einen Faktor von drei. Solche Risiken können wir nicht vermeiden. Sicherlich kann man jetzt auch bauliche Maßnahmen gegen 15 Meter hohe Wellen treffen und dabei dennoch nicht ausschließen, dass eine Monsterwelle mit 30 Metern oder mehr das Land überflutet. Auch kann sich der Boden auftun und ganz Landstriche verschlingen. Der Phantasie möglicher Katastrophen sind keine Grenzen gesetzt und doch kann etwas eintreten, dass all das noch in den Schatten stellt. Aber müssen solche singulären Ereignisse unsere Gestaltungsmöglichkeiten wirklich beschränken? Wenn ja, dann müssten wir als Erstes den Straßenverkehr abschaffen, denn ihm fallen jährlich Hunderttausende auf der Welt zum Opfer. Wegen möglicher Epidemien oder Pandemien müssten wir alle unser gesellschaftliches Verhalten ändern und so fort. Leben aber ist und bleibt stets ein Risiko. Schon jedes einzelne Leben kommt nur dadurch zustande, dass es aufgrund einer vorgegebenen Information durch alle daran beteiligten Glieder, die sich der Information entsprechend verhalten müssen, in jedem Augenblick erzeugt wird. Es ist in jedem Augenblick das Ergebnis eines Werdens. Läuft etwas schief, fällt ein notwendiges Glied aus oder verhält sich nicht so, wie in der Information vorgesehen, führt der Prozess nicht zum vorgesehenen Ergebnis. Wir erleben das als Krankheit oder Tod. Das ist das Lebensrisiko und dieses Risiko setzt sich ungeschmälert fort, bei allem was wir zusammen mit anderen tun, um unsere Lebensbedingungen zu gestalten. Wir haben gar keine andere Wahl, als Risiken einzugehen.

RL: Also auch das Risiko einer Kernschmelze und einer Vernichtung des Lebens auf der Erde?

Prof. Raio: Wir müssen abwägen und theoretisch ist die Antwort einfach: wir müssen uns für das entscheiden, was das Leben –und zwar das der Erde- am ehesten sichert. Da übertreibt natürlich ihre Frage maßlos. Es gibt zwar Atom- und Wasserstoffbomben, die die ganze Welt bedrohen, aber keine Kernkraftwerke, die das tun. Selbst der Unfall von Tschernobyl, bei dem aufgrund des Brandes von dort gelagerten Graphit eine der größtmöglichen Verbreitung der ausgetretenen Radioaktivität erfolgte, hat nicht die ganze Welt bedroht – selbst wenn, wie schon von Ihnen erwähnt wurde, es zum Beispiel in Bayern zu Strahlenschäden gekommen sein kann, deren Konsequenzen bislang nicht offen gelegt sind. Ich will damit nur sagen, dass wir möglicherweise gezwungen sein können, recht weite Risiken einzugehen. Bei den pandemischen Gefahren, die mit der Überbevölkerung der Erde verbunden sind, haben wir das längst –nolens volens- akzeptiert –obgleich diese von ungemein größeren Ausmaß sind als bei der zivilen Nutzung der Kernenergie überhaupt denkbar. Das Risiko der Atomkraftwerke hatten wir doch längst akzeptiert. Wir leben in einer kapitalistischen Welt, wo alles seinen Preis hat. Die Nutzung der Kernkraft aber hat keinen Preis, denn Sie finden niemand, der bereit wäre, das Risiko zu übernehmen und sie gegen Störfälle zu versichern. Das ist seit je bekannt. Eine Mehrheit in Deutschland sagt jetzt, nachdem uns das Risiko in Fukushima vor Augen geführt wurde, ist es uns doch zu groß. Aber wir alle sitzen im selben Zug auf der Welt, da kann niemand allein die Richtung ändern. Und solange es keine Alternative zur energetischen Versorgung der Welt gibt, wird sich die Richtung des Zuges auch nicht ändern und damit auch nicht die Gefahrlage für Deutschland. Bitten Sie einfach einmal die Kernkraftgegner, zu berechnen, welche Flächen und Mengen an Solar- und Windkraftanlagen man benötigt einschließlich zugehöriger Speicherkraftwerke, um einen keineswegs unwahrscheinlichen weltweiten Verbrauch von 4000 EJ an Primärenergie sicherzustellen, dann wird sehr schnell deutlich, was hier wirklich gefordert wird: der Rückkbau der zivilen Lebensbedingungen weltweit – also auch unter Versagung unserer heutigen Lebensbedingungen für die Mehrheit der Menschheit. 

RL: Wir danken Ihnen, Herr Professor, für dieses Gespräch.